Fit werden für Quantencomputer

Bis ein Quantencomputer Alltagsprobleme löst, werden mindestens noch zehn Jahre vergehen, schätzen Expert:innen. Doch schon heute bereiten sich große Unternehmen auf den Einsatz der neuen Rechner vor. Das Forschungszentrum Jülich unterstützt sie dabei.

13. April 2023

Sie sitzen an ihrer Feuerstelle, über der ein Eintopf brodelt, und arbeiten schon an einem Kochbuch für ihren Elektroherd – der aber erst entworfent und gebaut werden muss. So ähnlich ist die Situation derzeit im Quantencomputing. Die Hardware steckt noch mitten in der Entwicklung, aber Forscher:innen tüfteln bereits an Rechenvorschriften, die ein Quantencomputer Schritt für Schritt ausführen soll, um bestimmte Aufgaben zu lösen: den Quantenalgorithmen. Die zeitgleiche Entwicklung von Hard- und Software ist aus Sicht von Prof. Frank Wilhelm-Mauch, Direktor des Peter Grünberg Instituts für Quantencomputeranalytik (PGI-12), sinnvoll und wichtig: „Wenn man erst dann anfängt, sich mit Algorithmen zu beschäftigen, wenn bereits ausgereifte Quantencomputer existieren, hat man viel wertvolle Zeit verloren.“

Der Markt wartet nicht

Das sieht auch die Industrie so: „Warten, bis Quantentechnologien eine komplett etablierte Technologie sind, bewirkt keine Wettbewerbsvorteile. Und wesentliche neue Märkte sind dann bereits besetzt“, warnt der Verband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom in seinem Leitfaden „Quantentechnologien in Unternehmen“. Große Konzerne haben daher längst begonnen, Kompetenzen aufzubauen. Es gilt, schon heute herausfinden, bei welchen Problemen ein Quantencomputer tatsächlich einen praktischen Nutzen hätte und wie passende Algorithmen aussehen könnten.

13

Prozent
aller Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten erwägen oder diskutieren laut einer Studie des Branchenverbandes Bitkom bereits den künftigen Einsatz von Quantencomputern. Forscher.

Tobias Stollenwerk

Dafür arbeiten Wissenschaft und Wirtschaft eng zusammen. „Wir lernen so, die Probleme zu verstehen, die für die Unternehmen bedeutsam sind. Das hilft uns Grundlagenforschern, Quantenalgorithmen nicht nur aus wissenschaftlicher Neugier zu entwickeln, sondern ganz gezielt, um damit auch die Gesellschaft voranzubringen“, sagt Gruppenleiter Dr. Tobias Stollenwerk vom PGI-12. Er, sein Team und Forscher:innen des Jülich Supercomputing Centre (JSC) beschäftigen sich im Projekt Q(AI)2 zusammen mit BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen und Bosch mit Lösungen für die Automobilindustrie.

Im Fokus stehen Aufgaben, bei denen die Unternehmen auf Künstliche Intelligenz (KI) setzen – bisher unter Nutzung herkömmlicher Computer. So soll eine KI etwa auf Bildern Arbeitende und ihre Körperteile erkennen. Eine häufige Voraussetzung dafür, dass während der Produktion eines Autoteils Roboter und Menschen gefahrlos unmittelbar zusammenarbeiten können. Der Rechner kann dann beispielsweise den Roboterarm so steuern, dass dieser nicht mit einer Arbeiterin oder einem Arbeiter kollidiert. Dr. Dmytro Nabok vom JSC erkundet Quantenalgorithmen, die diese KI-Anwendung so verbessern sollen, dass sie Körperteile stets korrekt und innerhalb von Millisekunden identifiziert.

Kristel Michielsen

Um die Algorithmen zu testen, nutzt Nabok unter anderem den Quantenannealer der Firma D-Wave Systems am Forschungszentrum Jülich, JUPSI genannt. Ein Quantenannealer ist anders als andere Quantencomputer nicht universell programmierbar, eignet sich also nur für spezielle Aufgaben. JUPSI gehört zur „Jülicher Nutzer-Infrastruktur für Quantencomputing“ (JUNIQ). Über diese können Forscherteams aus Industrie und Wissenschaft Zugriff auf experimentelle Systeme, Prototypen und kommerzielle Quantencomputer erhalten sowie die notwendige Unterstützung etwa beim Entwickeln von Algorithmen. Prof. Kristel Michielsen vom JSC und Leiterin von JUNIQ verdeutlicht, wie wichtig das frühzeitige Erproben und Ausführen von Quantenalgorithmen auf den schon existierenden Quantensystemen ist: „Es generiert Fachwissen und trägt zur Co-Design-Feedback-Schleife bei“, sagt sie. „Bei diesem aus dem Supercomputing bekannten Verfahren arbeiten Nutzer:innen, Software- und Hardware-Entwickler:innen gemeinsam an der Verbesserung und dem Design zukünftiger Computerumgebungen.“

Lackieren optimieren

Mit einem anderen beispielhaften Problem der Autoindustrie beschäftigt sich die Volkswagen AG. Die Ausgangslage: Neuwagen sollen jeweils in zwei separaten Schichten lackiert werden. Wenn ein Wagen in der Lackieranlage eintrifft, tragen die Roboter dort aber die zwei Lacke nicht direkt hintereinander auf. Die Roboter müssten dann ständig die Lacke wechseln, das ist zeitaufwendig. Deshalb befördert ein Band jeden Wagen nach dem ersten Lackieren aus der Anlage heraus und später für den zweiten Lackiervorgang wieder hinein. Diesen Prozess gilt es zu optimieren, also den Zeitpunkt eines Lackwechsels für eine bestimmte Anzahl von Autos so festzulegen, dass der Lackwechsel möglichst selten erfolgen muss. Das Team um Tobias Stollenwerk untersucht, inwieweit Quantencomputer derartige Probleme schneller lösen können als herkömmliche Computer.

"Herkömmliche Computer sind nicht nur nützlich, um Quantensoftware zu testen. Sie können auch davon profitieren."

NILS KÜCHLER

„Der Rechenaufwand für dieses Problem steigt enorm schnell mit der Zahl der Lacke und der Zahl der Autos. Außerdem müssen wir in der Realität noch weitere Einflussfaktoren berücksichtigen“, erläutert Stollenwerk. „Solche Optimierungsprobleme sind manchmal überhaupt nicht in realistischen Zeitspannen exakt lösbar, auch nicht mit Supercomputern.“ Anders als Nabok prüft das Team um Stollenwerk die Algorithmen auf herkömmlichen Rechnern, die das Verhalten von Quantencomputern nachahmen. „So können wir verschiedene Arten von Fehlern, die Quantencomputer unterschiedlichen Reifegrads machen, gezielt mitsimulieren. Also auch prüfen, wie sich etwa die Quantenhardware auswirkt. Das hilft uns, den Einfluss dieser Fehler auf das Ergebnis besser zu verstehen“, sagt Stollenwerk.

Über einen angenehmen Nebeneffekt berichtet JUNIQ-Projektmanager Dr. Nils Küchler: „Herkömmliche Computer sind nicht nur nützlich, um Quantensoftware zu testen. Sie können auch davon profitieren, denn die quanteninspirierte Software liefert auf ihnen manchmal neue Lösungen.“ Stollenwerk hat während der Zusammenarbeit mit der Industrie noch ein weiteres Phänomen beobachtet: „Unternehmen beleuchten Probleme noch einmal neu, wenn sie überlegen, wie Quantencomputer diese rechnen könnten. Dabei entdecken sie manchmal weit bessere klassische Algorithmen als diejenigen, die ihnen bis dahin bekannt waren.“

Was machen kleine Firmen?

Daniel Zeuch

Dr. Daniel Zeuch vom Peter Grünberg Institut (PGI-12) hat in den letzten zwei Jahren mit über 100 Repräsentant:innen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) über Quantencomputing gesprochen. Warum, Herr Zeuch?

Wir wollten herausfinden, ob KMU künftig verstärkt in die Entwicklung von Bauteilen oder Software für Quantencomputer einbezogen werden können, und ihnen bei Bedarf helfen, zeitnah in dieses Entwicklungsfeld zu investieren. Außerdem hat uns interessiert: Inwieweit haben sie sich schon mit dem Thema beschäftigt?

Was waren die Ergebnisse?

Es gibt deutliche Unterschiede. Einige Zulieferer, die etwa spezielle Stromquellen oder Mikrowellenanalysatoren produzieren, sind bereits im Geschäft, andere könnten schnell einsteigen. Die Anwender dagegen sind noch zögerlich. Ihnen fehlen belastbare Prognosen zu Rechenvorteilen durch die Quantencomputer. Trotzdem bekundeten sie zum Teil großes Interesse, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, beispielsweise in Gesprächen mit uns.

Was bieten Sie diesen Unternehmen an?

Information, Beratung und Unterstützung. Sie können sich jederzeit gerne bei mir melden. Das Forschungszentrum verfolgt außerdem verschiedene Ansätze, um den Kontakt zur Wirtschaft, inklusive KMU zu stärken, etwa als Partner im landesweiten Netzwerk „EIN Quantum NRW“, oder mit dem Aachener Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT im geplanten Center for Quantum Systems and Engineering, kurz CQSE, das Quantentechnologien im Rheinischen Revier voranbringen möchte.

zum ausführlichen Interview

Der Quantencomputer

Text+Interview: Frank Frick | Bilder: Forschungszentrum Jülich/Sascha Kreklau; Sofia Wagner, DLR; Radhika Vaidyanathan | Video: Forschungszentrum Jülich

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Letzte Änderung: 19.09.2023