In Superposition

Das Rechnen mit Computern neu erfinden – dieser Vision folgen Forschende weltweit. Dazu konstruieren sie Maschinen, die den mitunter bizarren Regeln des Quantenkosmos gehorchen. Solche Quantencomputer dürften für bestimmte Aufgaben herkömmlichen Rechnern deutlich überlegen sein. In Jülich finden die Fachleute auf diesem Gebiet eine exzellente Forschungsumgebung vor.

Tief im Inneren der Materie verbirgt sich eine rätselhafte Welt – der Quantenkosmos. Beherrscht wird er von schwer durchschaubaren Gesetzen. Die Dinge dort können über spukhafte Fernwirkungen miteinander in Verbindung stehen, sind gleichzeitig tot und lebendig.

Jülicher Forschende haben sich aufgemacht, dem Quantenkosmos seine Geheimnisse zu entreißen. Ein ambitioniertes Ziel vereint sie alle: Sie wollen lernen, die kleinsten Teilchen zu kontrollieren – um damit eine Rechenmaschine zu konstruieren, wie sie die Welt noch nie gesehen hat: einen leistungsstarken Quantencomputer. Er könnte Pharmazeuten und Materialforschern bei der Suche nach neuen Wirkstoffen und Katalysatoren helfen, indem er komplexe Moleküle simuliert. Er könnte Logistikprobleme und Produktionsabläufe in Fabriken im Handumdrehen optimieren – schneller als jeder Hochleistungsrechner.

So fahnden die Jülicher Experten nach exotischen Materialien, entwerfen daraus neuartige Schaltkreise, die sie zu ersten Prototypen zusammensetzen. Sie schreiben einzigartige Algorithmen und lassen ihre Rechner antreten gegen die schnellsten Superrechner der Welt. Das Forschungszentrum bietet ihnen dafür ein optimales Umfeld: moderne Labore und leistungsfähige Geräte; darüber hinaus Partner aus der Industrie und eine lokale Service-Infrastruktur. Doch was den Erfolg des Standorts am Ende ausmacht, sind die Köpfe hinter der Forschung: ein Team aus hochspezialisierten Fachleuten, die
ihre Ideen, ihr Wissen, ihre Erfahrungen, ihren Pioniergeist und ihre Beharrlichkeit einbringen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.
Wer sie sind, was sie bisher geleistet haben und welche Visionen sie verfolgen, möchten wir hier vorstellen.

Am Anfang steht die Idee: Kleinste Teilchen wie Atome, Elektronen oder Photonen können Informationen tragen. Koppelt man mehrere dieser Quantenbits, kurz Qubits, aneinander, lassen sich damit unzählige Rechnungen parallel ausführen. Bestimmte Algorithmen benötigen damit auf Quantencomputern nur einen winzigen Bruchteil der Zeit, die sie auf konventionellen Rechnern brauchen. Einer der ersten, der dieses Konzept ausformuliert hat, ist David DiVincenzo.

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DAVID DIVINCENZO

Der Quantenversteher

„Anfang der Neunzigerjahre begann ich, mich für das Rechnen mit Quanten zu interessieren. Damals war die Szene noch überschaubar“, erinnert sich Prof. David DiVincenzo. Doch schon 1994 kam ein Durchbruch. Mathematiker konnten erstmals zeigen: Mit schnellen Quanten-Algorithmen lassen sich tatsächlich relevante Probleme lösen. „Deshalb kamen sie zu uns Physikern und fragten, ob man die dafür notwendigen Quantenprozessoren tatsächlich bauen könnte.“

Zwei Jahre später definierte DiVincenzo das grundlegende Konzept hinter allen Rechnern dieser Art – festgehalten in den fünf nach ihm benannten Kriterien. Das erste beschreibt die Grundvoraussetzung eines jeden Computers dieser Art: Er rechnet mit Qubits anstelle von Bits. „Heutzutage hören sich diese Sätze so an, als wolle man einem Kindergartenkind erklären, wie ein Computer funktioniert. Aber damals hatten wir keine genaue Vorstellung davon, wie ein Quantenrechner aussehen könnte“, erklärt der Physiker, der als einer der wichtigen Vordenker auf dem Gebiet der Quantencomputer gilt.
Einen großen Teil seiner Karriere hat er in einem Forschungslabor des IT-Riesen IBM verbracht. Im Jahr 2010 wechselte er dann als JARA-Professor ans Jülicher Peter Grünberg Institut (PGI-2 und PGI- 11) und die RWTH Aachen. „Hier besitze ich die Ressourcen und die Freiheit, meinen eigenen Forschungsinteressen nachzugehen“, sagt der Physiker. „Und ich schätze das Umfeld: die Vielfalt an Themen und Köpfen.“

In Jülich widmet er sich der Fehlerkorrektur: Die instabile Natur des Quantenzustandes führt immer wieder dazu, dass sich Fehler in die Rechnungen einschleichen. Die möchte der Physiker beheben: „Wir verfolgen gerade die Idee, ein Qubit auf drei Elektronen, die in einem Halbleiterkäfig sitzen, aufzuteilen“, erklärt DiVincenzo. Sollte sich bei einem Teilchen des Trios ein Fehler einschleichen, so ließe sich das leicht an den anderen beiden überprüfen.

Quantenbits

Quantenbits – oder Qubits – sind das Pendant zu klassischen Computerbits: Das können zum Beispiel Atome oder Ionen sein, die wie die Perlen einer Kette in einer Reihe in einer optischen Falle schweben. Oder supraleitende Schleifen, durch die Kreisströme fließen. Oder auch einzelne Elektronen, gefangen in Käfigen aus Halbleitermaterialien, sogenannten Quantenpunkten. Entscheidend ist: Alle diese Systeme können in zwei Zuständen vorliegen, die den binären Werten eines klassischen Computers entsprechen: null oder eins. Und sie alle besitzen die Eigenschaften von Wellen. Sie können sich daher selbst überlagern. Diesen Zustand nennt man „in Superposition“ sein. Sie sind damit in der Lage, auch alle Zustände zwischen null und eins anzunehmen. Die Herausforderung besteht allerdings darin, den fragilen Quantenzustand vor äußeren Störfaktoren zu schützen. Die Überlagerung muss lange genug bestehen, um mit den Qubits rechnen zu können.

Von der Idee zur Umsetzung: Zunächst einmal müssen Quantensysteme gefunden werden, die sich leicht von außen steuern lassen. Sie bilden die Grundlage, die kleinste Einheit eines Quantencomputers. Jemand, der solche Materialien sucht, ist Stefan Tautz.

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STEFAN TAUTZ

Der Molekülmanipulator

Mit bloßen Händen kann Prof. Stefan Tautz einzelne Moleküle bewegen. Mit einem Wisch durch die Luft dirigiert er die winzigen Gebilde. Er löst sie aus ihrem Verbund heraus, verschiebt sie, richtet sie hochkant auf oder ordnet sie auf einer Oberfläche beliebig an. Zugegeben: Die eigentliche Arbeit verrichtet dabei ein Rastersondenmikroskop, dessen feine Sondenspitze die Moleküle manipuliert. Infrarotkameras nehmen die Handbewegung im dreidimensionalen Raum auf und übertragen sie auf die Spitze.

An sich ist diese Technik des Molekülschubsens nicht neu. Aber die Forschenden am Peter Grünberg Institut (PGI-3) nutzen sie mittler- weile, um nach neuen Materialien für zukünftige Quantencomputer zu suchen.

Denn einzelne Moleküle mit den passenden elektronischen Eigenschaften lassen sich als Qubits nutzen. „Wir können mit unseren Mikroskopen sehr schnell und zielgerichtet maßgeschneiderte Strukturen aufbauen, eine Art molekularer 3D-Druck“, erklärt Tautz. „Anschließend überprüfen wir sie auf ihre Eignung als Qubits.“

„Bei all dem hilft uns unsere ausgezeichnete Infrastruktur, die wir noch weiter ausbauen, wie etwa im Helmholtz Quantum Center (s. Kasten)“, sagt Tautz. Viel wichtiger seien jedoch die Menschen, die hier zusammenkommen, um an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. „Niemand baut einen Quantencomputer ganz alleine“, so der Forscher, „es gehören unzählige Fachleute mit einer Vielfalt an Kompetenzen und akademischen Hintergründen dazu. Dafür bietet Jülich die besten Voraussetzungen.“

Helmholtz Quantum Center

Ob Atomfallen, Supraleiter, Halbleiter, Majorana-Teilchen oder ganz andere Arten von Qubits: Es ist noch nicht entschieden, welche Technologie am besten abschneiden wird. Dementsprechend vielseitig wird auch ein zentrales Technologielabor ausgelegt, das gerade in Jülich aufgebaut wird: Das Helmholtz Quantum Center (HQC). „Es deckt den gesamten Entwicklungsbogen ab von den Materialen bis zum Quantenrechner und den Algorithmen, die darauf laufen werden“, sagt Stefan Tautz, Vertreter der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am HQC. „Es soll ein reiches Ökosystem bieten, in dem alle Aspekte des Quantencomputings erforscht werden.“ Daher wird das HQC- Gebäude Platz für unzählige Speziallabore mit einer reichhaltigen Infrastruktur bieten. Wegen der fragilen Natur der Qubits ist es notwendig, die Experimente nur knapp über dem absoluten Nullpunkt durchzuführen. Die Räumlichkeiten müssen gegen störende Einflüsse durch Magnetfelder, Hochfrequenzfelder und Vibrationen isoliert werden.

Sind Materialien gefunden, um die Qubits zu erzeugen, müssen mehrere Qubits zu kleinen schaltbaren Einheiten verbunden werden. Im klassischen Computer übernehmen Transistoren aus Halbleitermaterialien diese Aufgabe. Beim Quantenrechner sind neue Konzepte gefragt. Mit ihnen beschäftigt sich Hendrik Bluhm.

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HENDRIK BLUHM

Der Elektronenschieber

„Es ist diese Pionierarbeit, die mich reizt, dieser Mondlandungscharakter der Forschung“, sagt Prof. Hendrik Bluhm. „Auf einer komplett neuen Grundlage, die in der klassischen Datenverarbeitung keinen Vergleich kennt, entwickeln wir eine Technologie mit wirklich handfestem Nutzen.“

Der Physiker entwirft elementare Bauelemente für einen zukünftigen Quantencomputer und untersucht deren Eigenschaften. Damit die Quantenprozessoren ihren Vorteil gegenüber klassischen Hochleistungsrechnern überhaupt ausspielen können, müssen sie über eine ausreichende Kapazität von Qubits verfügen. „Für viele der geplanten Anwendungen braucht man Millionen von Qubits.Bis dahin ist es noch ein weiter Weg“, erläutert Bluhm. Wichtig sei es daher, Architekturen zu entwickeln, die sich leicht in großem Maßstab umsetzen lassen. Dafür setzt der Forscher auf sogenannte Halbleiter-Spin-Qubits, die Informationen im Eigendrehimpuls einzelner Elektronen speichern.

Die haben aus Sicht von Hendrik Bluhm wichtige Vorteile: Im Vergleich zu den supraleitenden Systemen ließen sich mit den Halbleiter-Qubits langfristig sehr viel mächtigere Prozessoren erschaffen. Und um sie herzustellen, lassen sich die üblichen Verfahren aus der etablierten Halbleiterfertigung nutzen. „Außerdem sind sie im Vergleich zu supraleitenden Qubits weniger anfällig gegenüber Störungen von außen, wie etwa Wärmestrahlung oder die kosmische Hintergrundstrahlung“, erläutert der JARA-Professor, der in Jülich am Peter Grünberg Institut (PGI-11) und an der RWTH Aachen forscht.

Um mit Halbleiter-Qubits zu rechnen, werden mehrere Elektronen aneinandergekoppelt, also ihre Elektronenspins miteinander verschränkt. Dafür müssen die winzigen Teilchen nah aneinander gebracht werden. Das fällt aber umso schwerer, je mehr Elektronen miteinander verbunden werden sollen. Denn dann steigt auch die Distanz unweigerlich an. Das Team um Hendrik Bluhm arbeitet daher an einer Möglichkeit, die verschränkten Elektronen als Informationsträger über den Chip hin- und herzuschieben. Mit solch einem Elektronen-Shuttle könnte es gelingen, eine große Zahl gleichzeitig miteinander zu verbinden.

QUASAR und QLSI

Das Prinzip des Elektronen-Shuttles soll im QUASAR-Projekt in die Entwicklung eines deutschen Halbleiter-Quantenprozessors münden. Die im Labor bereits erfolgreich getesteten Schaltungen werden dafür hochskaliert – sodass am Ende ein Demonstrator mit 25 gekoppelten Qubits verwirklicht wird. Über ein Verbindungselement, einen sogenannten Quantenbus, können einzelne Elektronen auf einem Chip kontrolliert über größere Distanzen transportiert werden. Mit an Bord von QUASAR sind weitere Partner aus dem akademischen und industriellen Umfeld. So wird der Halbleiterhersteller Infineon untersuchen, wie sich die Quantenchips mit herkömmlicher Siliziumtechnologie verwirklichen und im großen Maßstab industriell fertigen lassen. Außerdem beteiligt sich Jülich am QLSI-Projekt des europäischen Quantenflaggschiffs, in dem ähnliche Quantenchips auf Siliziumbasis entwickelt werden.

Solche alternativen Konzepte böten Europa die Möglichkeit, leichter gegenüber den Marktführern aufzuholen. Jülich käme dabei eine Schlüsselrolle zu: „Das Forschungszentrum hat seine Kompetenzen auf dem Gebiet der Quantentechnologie in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut. Die Gruppe von Fachleuten ist beständig größer und vielfältiger geworden.“

Der Prozessor eines Computers besitzt Milliarden kleinster elektro- nischer Schalter – die Transistoren –, um die zahlreichen Rechnungen durchzuführen. Bei Quantencomputern stellt das Skalieren von einigen wenigen Qubits bis hin zu integrierten Schaltkreisen noch eine Herausforderung dar. Frank Wilhelm-Mauch möchte sich dieser Herausforderung stellen.

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FRANK WILHELM-MAUCH

Der Baumeister

Handwerkliches Geschick gehöre nicht zu seinen Vorzügen, gibt Prof. Frank Wilhelm-Mauch zu: „Wenn ein Nagel in die Wand ge- schlagen werden muss, erledigt das immer meine Frau.“ Und so habe es nahegelegen, dass er sich im Studium der Theoretischen Physik zugewandt habe. Diese erlaubte es ihm, sich mit verblüffenden Gedankengebäuden auseinanderzusetzen. „Andererseits befand ich mich auch im Zwiespalt, dass ich die Welt nicht nur erklären wollte. Ich wollte etwas bauen. Und dafür stellt Quantencomputing das ideale Gebiet dar.“

In Jülich arbeitet der Forscher vom Peter Grünberg Institut (PGI-12) daran, einzelne Quantensysteme zu Schaltkreisen zu verbinden, so wie sie auch auf konventionellen Computerchips zu finden sind. Dort bestehen sie aus einzelnen Transistoren, die so miteinander verschaltet sind, dass sie fundamentale Rechenoperationen ausführen können. Für die Quantenrechner konzentriert Frank Wilhelm-Mauch sich auf Qubits in supraleitenden Kontakten, die der Technologie von Google oder IBM ähneln. „Sie bilden die Basis für unsere Quantenchips“, erläutert Frank Wilhelm-Mauch. „Wir entwickeln auf dieser Grundlage neue Bauelemente und beschäftigen uns mit Strategien, wie man bereits existierende Hardware einfacher, robuster und kleiner machen kann.“

Dabei erinnert er sich gerne an seinen ersten Computer, einen Sinclair ZX-81. Die britische Rechenmaschine war einer der ersten Homecomputer, die vor 40 Jahren auf den Markt gekommen waren – noch vor dem berühmten Commodore 64. „Vom Entwicklungsstand sind heutige Quantencomputer noch nicht ganz so weit wie der ZX-81 damals. Aber das Gefühl beim Programmieren ist doch vergleichbar. Es geht darum, das Beste aus einer limitierten Hardware herauszuholen.“

Apropos Hardware: Der Theoretiker hat tatsächlich auch die Gelegenheit zum Bauen eines einzigartigen Prototyps bekommen: Im Projekt OpenSuperQ soll ein frei programmierbarer Quantenrechner verwirklicht werden, der für alle Forscher Europas zugänglich ist. Wilhelm-Mauch koordiniert das Vorhaben.

OpenSuperQ

Das Projekt OpenSuperQ soll den ersten frei programmierbaren europäischen Quantencomputer hervorbringen, der konventionellen Hochleistungsrechnern überlegen ist. Dafür müssten mindestens 50 Qubits miteinander verschränkt werden. Der Jülicher Forscher Frank Wilhelm-Mauch koordiniert den Bau des Rechners, der auf supraleitenden Quantenschaltkreisen basiert: Zehn Partner aus Wissenschaft und Industrie arbeiten im Projekt OpenSuperQ zusammen. Der Rechner mit einer offenen Architektur soll dann im Rahmen der Jülicher Quanten-Infrastruktur JUNIQ am Jülich Supercomputing Centre Fachleuten auf der ganzen Welt per Fernzugriff zur Verfügung stehen. OpenSuperQ ist Teil des EU-Flagships zum Quantencomputing. Jülicher Forschende sind auch an weiteren Projekten des Flagships beteiligt.

Quantencomputer können ihren Vorteil des parallelen Rechnens nur bei bestimmten Algorithmen ausspielen: etwa, wenn große Datenmengen durchforstet oder die Eigenschaften von Molekülen und Materialien kalkuliert werden sollen. Damit entsprechende Programme reibungslos auf den derzeit noch fehleranfälligen Rechnern laufen, brauchen die Maschinen eine ausgereifte Firmware. Mit dieser Programmebene, die zwischen der Hardware und den darauf arbeitenden Anwendungen vermittelt, beschäftigt sich Tommaso Calarco.

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TOMMASO CALARCO

Der Netzwerker

Tommaso Calarco hat viele Talente. Unter anderem besitzt er einen Bachelorabschluss in klassischer Gitarre. Dass er der Quantenphysik den Vorzug gegeben hat, dürfte als Glücksfall für die gesamte europäische Quantenforschung gewertet werden. Denn der Physik-Professor gilt als der Initiator des Quantenmanifests, das in das milliardenschwere EU-Flaggschiffprogramm mündete. Darin bekleidet er das Amt des Vorsitzenden des Quantum Community Network (QCN), das Wissenschaft und Wirtschaft zusammenbringt.

Quantum Community Network

Im Quantum Community Network (QCN) des EU Quantum Flagships wird jeder Mitgliedstaat durch zwei Personen vertreten: eine aus der Forschung und eine aus der Industrie. „Das QCN ist ein wichtiges Instrument für die internationale Vernetzung – nicht nur, damit Theoretiker und Experimentalgruppen zusammenkommen, sondern auch Wissenschaft und Wirtschaft“, erklärt der QCN-Vorsitzende, der Jülicher Forscher Tommaso Calarco. Den Austausch mit der Industrie treibt er auch über das Quantum Industry Consortium (QuIC) voran, das auf Initiative vom QCN entstanden ist und Firmen aus Europa zusammenbringt.

In seiner Forschung sucht er nach Möglichkeiten, die grundlegenden Prozesse und damit die Rechengenauigkeit beim Quantencomputing zu verbessern – und zwar für alle Arten von Qubits. „Wir nutzen in der Quantenwelt kleinste Teilchen wie Atome und Elektronen. Wir manipulieren sie aber mit makroskopischen Werkzeugen. Das ist etwa so, als würde ich Gitarre spielen mit Boxhandschuhen“, erklärt Calarco. Das nötige Fingerspitzengefühl liefert eine mathematische Methode, die Kontrolltheorie. Sie spielt zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrt eine wichtige Rolle, aber auch beim Optimieren von Produktionsprozessen. „Wir haben diese Theorie in den Bereich der Quantentechnologien übertragen, um Quantenprozesse gezielt zu beeinflussen und die beste Leistung aus einem bestehenden System herauszuholen“, sagt der Wissenschaftler vom Peter Grünberg Institut (PGI-8).

Bei einem Arbeitsschritt in einem Quantencomputer werden verschränkte Qubits von einem in einen anderen definierten Zustand überführt. Der Physiker und sein Team entwickeln Methoden, die dafür sorgen, dass auf diesem Weg mögliche Hindernisse und Fehler vermieden werden. Das geschieht auf einer Ebene zwischen den eigentlichen Quantenrechnern und den Quantenalgorithmen, die darauf laufen. „Es ist sozusagen die Firmware für Quantencomputer. Sie steht genau zwischen Hard- und Software“, erklärt Tommaso Calarco. Die Firmware übernimmt grundlegende Aufgaben in einem Rechner oder einem anderen elektronischen Gerät. Sie passt etwa die Quantenrechner so an, dass sie neue Algorithmen abarbeiten können.

Anwendungen für Quantencomputer, die Algorithmen, können bereits jetzt entwickelt und erprobt werden, auch ohne dass es fertige Quantencomputer gibt. Denn auf konventionellen Hochleistungsrechnern lassen sich diese Prozesse simulieren. Wie das funktioniert, weiß Kristel Michielsen.

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KRISTEL MICHIELSEN

Die Rechenkünstlerin

Beim Pionierflug des Quantencomputings waren ihre Rechenkünste gefragt: Prof. Kristel Michielsen und ihr Team vom Jülich Supercomputing Centre trugen 2019 mit Simulationen auf dem Jülicher Supercomputer JUWELS zum Beweis der sogenannten Quantenüberlegenheit durch Google bei. Die Quantenüberlegenheit bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem ein Quantencomputer erstmals einem herkömmlichen Rechner bei einer bestimmten Aufgabe überlegen ist. Das nachzuweisen, galt als große Herausforderung.

Mit dem Jülicher Hochleistungsrechner JUWELS testet Kristel Michielsen Quanten-Algorithmen, also Programme, die künftig auf Quantenrechnern laufen sollen. JUWELS schafft 85 Petaflops, das sind 85 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde. Diese Rechenleistung übersteigt die von 300.000 modernen PCs. „Im Grunde genommen können die Quantenalgorithmen auch auf konventionellen Rechenmaschinen laufen. Erst ab einem Schwellenwert von ungefähr 50 Qubits kommen die Bit-basierten Computer an ihre Grenzen“, erklärt die Forscherin.

Ein großer Vorteil der Simulationen ist laut Michielsen, dass die simulierten Quantenbits alle hundertprozentig zuverlässig arbeiten – im Gegensatz zu den realen Schaltungen auf echten Quantenprozessoren. Durch den Vergleich zwischen Simulation und Realität lässt sich damit auch die Rechenqualität eines Quantencomputers beurteilen.

Allerdings kommen Supercomputer an ihre Grenzen, wenn es darum geht, einen Quantencomputer zu simulieren, wie er heutzutage schon bei Firmen wie IBM oder Google steht. „Im Jahr 2018 hatten wir einen Prozess mit 48 verschränkten Qubits simuliert“, sagt die Physikerin. „Das war der Weltrekord. Es dürfte schwierig sein, den einzustellen. Denn mit jedem Qubit, das darüber hinaus dazukommt, verdoppelt sich der Speicherbedarf des Rechners, auf dem die Simulation läuft.“

Arndt Reuning

Copyright Grafiken: SeitenPlan/Christian Marchionna

Letzte Änderung: 05.03.2023